Was gibt es größeres, als von Susanne Huber-Curphey (N1QFE) und ihrer Segelyacht Nehaj berichten zu dürfen. Und so können wir stolz verkünden, wir von INTERMAR dürfen Susanne, die ja auch Amateurfunkerin ist, auf Ihren Reisen begleiten. Ich selbst (Uwe, DF5AM) hatte im Rahmen meiner Netcontroltätigkeit schon öfters das Vergnügen, mit Susanne ein QSO führen zu können. Ihre freundliche Stimme, ihre nette Art und die gewählten Wortewahl machen jeden Kontakt mit ihr zu einem unvergesslichen Erlebnis.
So kann man sich sicherlich vorstellen, welche Freude es für INTERMAR war, als wir die Erlaubnis erhalten haben, ihre Blauwasserbriefe veröffentlichen zu dürfen. Wem haben wir das noch zu verdanken? Unser 1. Vorsitzender, Hans-Uwe Reckefuß (DD1HUR), pflegt schon seit Jahren einen guten Kontakt zu Susanne. Ihre Blauwasserbriefe, um es einfach zu sagen, sie sind ein Genuss. Susanne ist eben nicht nur "Ausnahmeseglerin" sondern auch begnadete Autorin!
So wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen, es wird jedem das Herz aufgehen...
Vy 73 de Uwe, DF5AM
27.6.2022
Ich denke mal, diesen Link darf ich hier einstellen, er wurde mir übermittelt und ist bei unserem Partner Trans Ocean lesbar!
https://www.trans-ocean.org/Bericht-lesen/ArticleId/6604/Pl-246-tzlich-ohne-Schutzengel
Vy 73 de Uwe, DF5AM
BLAUWASSERBRIEF 196
St. Helena Island, 18.01.2022
Breite: 15º 56' Süd
Länge: 005º 43' West
Update aus St. Helena
Ich hatte Euch meine Neujahrsgrüße geschickt, aber leider dauerte es drei Wochen bis ich merkte dass diese Email nicht gesendet wurde.
Also möchte ich Euch nachträglich alles Gute für das Jahr 2022 wünschen.
Mögen all Eure Pläne und auch ein paar Träume in Erfüllung gehen.
Das kleine PDF mit ein paar Bildern werde ich online schicken, aber ich möchte Euch bitten auch weiterhin diese Adresse zu verwenden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! .
Seit meinem ersten Landgang sind vier Wochen vergangen, es war eine sehr gute Zeit.
Im täglichen Leben ist hier von C. nichts zu spüren. Man gibt sich die Hand oder umarmt sich und Masken sind unbekannt. Das hatte mich anfangs sehr beeindruckt und fast schon irritiert.
Die Insel ist wirklich einmalig und ich fühle mich herzlich willkommen. Anfeindungen gegen Segler wie es sie mittlerweile an sehr vielen Orten der Welt gibt sind hier unbekannt. Ich habe wohl die Hälfte der 'Saints' in Jamestown getroffen und eine immer beliebte Frage ist wie lange ich wohl bleiben werde. Das darf man nicht falsch verstehen, denn alle wollen dass man lange bleibt und sich hier wohl fühlt.
Wie selten ist das zu finden?
Bei meiner Ankunft im Dezember durfte ich nach fünf Tagen an Land. Weil meine Zeit auf See anerkannt wurde sollte mein C-Schnelltest schon früher stattfinden, aber das Versorgungsschiff war gerade angekommen und das geht natürlich vor. Wenn die 'MS St. Helena' etwa einmal im Monat anlegt ist es das Inselereignis, denn sie bringt fast alle Fracht und Lebensmittel auf die Insel, sowie maximal vier heimkommende 'Saints'. Die Insel hat nun einen Flughafen, aber die sonst üblichen Flüge nach Jo-Burg in Südafrika sind gestrichen und momentan ist Null Tourismus. Um die Insel auch in Coronazeiten mit dem Mutterland in Verbindung zu halten gibt es einmal im Monat einen Flug direkt aus London, aber alle Passagiere müssen dann eine strikte Quarantäne von zehn Tagen einhalten und auch den anschließenden PCR Test selbst bezahlen.
Das Wetter ist tropisch und Passat-Störungen sind unbekannt. In der zweiten Nachthälfte steht das Sternbild des 'Orion' über dem Masttop während 'Der 'Große Wagen' im Norden einen Kopfstand macht, wobei der Nordstern natürlich weit unter dem Horizont ist. Gegenüber strahlt dann das 'Kreuz Des Südens' hoch über den steilen Klippen der Insel. Tagsüber bin ich vom regen Treiben der 'Tropicbirds' mit dem roten Schnabel und ihrer markant langen Schwanzfeder fasziniert. Die hübschen 'White Terns' brüten ebenfalls in Nischen der vertikalen Felsen unweit von Nehaj und ich könnte sie bei ihren akrobatischen Anflügen stundenlang beobachten.
Bald wird die Sonne auf ihrem Weg in den Norden mittags vertikal über uns stehen, aber dank des kühlen Benguelastroms ist das Wasser und damit auch die Bootstemperatur bei 24º C sehr angenehm. An den Blick auf 180 Grad freien Horizont gewöhnte ich mich nur langsam, aber Nehaj liegt mit Bug und Heckleinen an zwei der 30-Tonnen Bojen total sicher. Zudem werden sie regelmäßig gewartet. Der SE-Passatwind ist im Südatlantik einmalig stetig, also liegen alle Boote sehr geschützt. Wir sind momentan fünf bewohnte 'Dauerlieger' an den insgesamt 20 Bojen und eine Jacht ist in Quarantäne, das wiederum wird sehr ernst genommen. Seit meiner Ankunft blieben drei durchreisende Jachten nur wenige Tage. Zwei weitere segelten sofort weiter, vielleicht weil die Crew keine Impfungen hatte? Eigentlich ist nun die Hochsaison für Jachten die aus Südafrika kommen, aber es ist sehr ruhig.
An Weihnachten hörte ich wie seit vielen Jahren die NDR Sendung 'Gruß an Bord' und freute mich sehr über die lieben Worte an mich. Das große Festessen am X-Mas-Day im Pub vor Ort war üppig. Ich glaube es gab mehr gefüllte Platten und Töpfe als anwesende Leute. Die Stimmung war locker und im Inselspirit teils auch ein wenig langsam. Jung und alt, ruhig oder laut, nüchtern oder ziemlich voll, im Insel-Slang oder mit Englisch das auch ich verstand.
Meine erste kleine Tour an Land war die 'Jakobsladder' mit den 699 Stufen über 180 Höhenmeter. Diese imposante Treppe läuft in einer geraden Linie ohne eine Unterbrechung im Winkel von über 40 Grad vom Ort Jamestown den Berg hoch. Wenn man die Treppe hinunter schaut kann einem leicht schwindlig werden. Natürlich hatte ich danach drei Tage lang Muskelkater, aber meine seit Reunion Island lädierten Knie schafften es. Entlang der Küste verläuft ein eindrucksvoller Weg etwa 100 Meter über den Klippen, dort kann ich im Stundentakt üben.
Neujahr blieb ich an Bord denn ich hatte keine Lust auf Feiern. Das war sehr gut, nur habe ich um Mitternacht im Radio 'Old Langsyne' und das laute Dröhnen der Schiffe vermisst. Es war fast wie in Tasmanien oder auf hoher See und einsam schallte Sonny's Nebelhorn über den Ankerplatz. Das war letztes Jahr am Deich an der Weser einmalig schön. Der Winterplatz 'Im Jaich' war super für mich, aber ich muss zugeben dass er mir die trüben Tage und das Eis im Hafen momentan nicht fehlen.
Ich bin wohl jeden zweiten Tag an Land und kann mich dazwischen an Bord gut beschäftigen, die vielen Streicheleinheiten gefallen Nehaj. Im Ort gibt es zwei kleine Supermärkte und etliche kleine Läden. Was es zu kaufen gibt hängt vom Fang der Fischer ab und wie lange das Schiff nicht mehr da war. Momentan gibt's keinen Honig und nur wenige Eier, aber mir fehlt es an nichts. Generell wird überraschend viel aus den UK und Südafrika importiert, sogar das Trinkwasser in Flaschen kommt aus England! Zum Glück gibt es an der Mole einen Wasserhahn wo ich meine kleinen Kanister fülle. Einmal war das Wasser verdächtig gelblich gefärbt, aber ich trank es trotzdem weil ich mich weigere das importierte Plastikwasser aus den über 8.000 km entfernten UK zu kaufen. Ich sehe es als meine natürliche Abhärtung und es geht mir sehr gut dabei.
Es gibt ein kleines Fährboot das mich abholt, an Land bringt und später auch wieder zurück. Ich freue mich darüber, denn das Vertäuen des eigenen Beiboots kann vor allem alleine bei wenig Platz und teils hohem Schwell sehr schwierig sein. Tatsächlich kommt dieser Schwell im Intervall von etwa 15 Sekunden von Stürmen im Nordatlantik diese enorme Distanz hierher. Dann kann das Aussteigen aufregend werden. Wenn sich das Boot an der Pier zwei Meter rauf und runter bewegt und gleichzeitig kräftig voraus und zurück geschoben wird ist das Timing beim Aussteigen auf der exakt richtigen Höhe wichtig. Die herunter hängenden dicke Taue helfen natürlich, aber ausnahmsweise freue ich mich hier über eine helfenden Hand. Wer immer sie Dir reicht ist kräftig und absolut zuverlässig. Wenn ich alleine bin und die richtige Sekunde verpasse, dann dreht der geduldige Fährmann ein zweites oder auch ein drittel Mal die Runde und manövriert geschickt, da ist mir mein Genick wichtiger als mein Stolz. Beim Rückweg, beladen mit dem Einkauf im Rucksack und den Wasserflaschen, ist's auch interessant. Es kann durchaus vorkommen dass im Rücksog ein Schwall Wasser von der Pier ins Boot schießt, aber es gab wohl noch nie ernsthafte Unfälle. Es ist eben ein kleines Abenteuer, dagegen stört mich das leichte Rollen von Nehaj gar nicht.
Die News gibt's im Wochenblatt und dreimal täglich als Playback im örtlichen Radio. Dazu sendet die BBC stündlich, ebenfalls auf FM. Deshalb wusste ich dass letzte Woche in St. Helena 'Booster-Week' war. Ich habe mich sehr gefreut als ich im 'Community Centre' tatsächlich meine dritte C-Impfung bekam. 'Biontec' klappte ohne Probleme obwohl ich kein 'Saint' bin. Ich brauchte noch nicht mal zu warten, keiner wollte meinen Reisepass sehen und der 40 Jahre alte Impfausweis war genug. Weil ich hier ohne Adresse und ohne Telefonnummer bin reichten als Anschrift 'SV Nehaj' und 'UKW Kanal 16' völlig aus, wie schön ist das!
Wieder an der Pier wussten der Fährmann und die Frau eines Fischers schon von meiner Impfung und fragten besorgt ob es mir gut ging. Die kernige Dame wollte auch wissen ob ich wirklich alleine über die Ozeane segle, und Freund Roy vom Boot nebenan hatte von meiner Impfung bereits im Pub erfahren. Es ist ein Dorf hier und es wissen wohl noch viel mehr Leute von mir als mir klar war. Schon zweimal wurde ich im Radio gegrüßt, habe es aber leider beide Male verpasst. Eine Antipathie oder gar Anfeindung gegen Segler gibt es nicht, wie sie nun an vielen Orten der Welt üblich ist. Kein Wunder dass Freund Roy und eine weitere Jacht schon seit fast zwei Jahren hier sind und die C-Zeit ruhig verbrachten. Wir trafen uns erstmals vor 18 Jahren in Madeira und vor zwei Jahren in Simonstown. Angeblich laufen Wetten wann Roy einbürgern will, aber bei allen ist er schon jetzt ein 'Saint'. Bei dieser Herzlichkeit ist auch für mich gut hier zu sein.
Eines Tages kam Port Captain Steve sehr offiziell im Fährboot an und sang mir das gesamte G-Ständchen! Er hatte dafür in meinen Papieren vom Check-in nachgesehen. Damit war mein Geheimnis gelüftet und zwei Stunden später riefen mir Leute die ich gar nicht kannte 'Happy Birthday Susanne' zu.
Der kleine Ort Jamestown ist einer der wenigen Häfen der Welt wo es keine örtlichen Funkstörungen gibt. Deshalb bin ich begeistert dass mein täglicher Funkkontakt nach Halifax noch immer gut klappt. Das lokale Internet ist langsam und teuer, zudem reicht das Handysignal nicht bis zum Ankerplatz. Deshalb habe ich hier keine örtliche SIM Karte. Etwa einmal wöchentlich bin ich in 'Ann's Place' online. Wie bei meinem ersten Besuch auf St. Helena vor über 20 Jahren ist es der Treffpunkt für Segler und Einheimische. Das kleine Lokal ist mit Seekarten und vielen Flaggen dekoriert und liegt direkt im kleinen botanischen Garten, nur eine Spuckweite vom Meer entfernt.
Via Amateurfunk ist mein 'kleines Zeitfenster' kurz nach Beginn der Dunkelheit etwa eine halbe Stunde lang. Dann liegt der Sonnenuntergang zwischen hier und dem 9.000 km entfernten Nova Scotia irgendwo im weiten Atlantik und bringt gute Bedingungen auf dem 20-Meter-Band. Von meiner Antenne bis zur Paktorstation von Neil in Kanada liegt nur freies Wasser, also sind wir funktechnisch in 'Sichtweite'.
Das örtliche Amateurfunk-Rufzeichen ZD7QFE bekam ich sofort und das Suffix ist nach meiner Wahl. Damit sind Email aber noch nicht möglich weil ich erst mal bei N1QFE bleibe.
Im glasklaren, tiefblauen Wasser schwimme ich sehr oft in Bootsnähe. In 18 Meter Tiefe unter dem Kiel kann ich mit der Taucherbrille den Grund gerade noch sehen. Heute war ich mit einem Spachtel bewaffnet, damit habe ich die letzten verbliebenen Entenmuscheln der Reise von den Azoren abgekratzt. Weil diesen resistenten Muscheln nun die Strömung vom Boot in Fahrt fehlt sind die meisten von selbst abgefallen, aber jede von ihnen hinterließ eine störrische Verankerungsplatte. Mir erscheinen diese etwa zwei Zentimeter großen weißen Flecken wie eine Mischung aus Beton und Kaugummi, die auf der Antifoulingfarbe extrem gut haften.
Bald soll die Zeit der riesigen 'Whalesharks' und der 'Humpbacks/Buckelwale' kommen. Delphine und einen der großen Rochen sah ich schon vom Deck aus unterm Kiel.
Ich wünsche Euch und der restlichen Welt dass die C-Lage nicht weiter eskaliert und auch Ihr langsam wieder ein etwas 'normaleres' Leben bekommt. Lasst es Euch derweil gut gehen.
Mit lieben Grüßen,
Susanne
BLAUWASSERBRIEF 189
03.12.2021, 45 Tage auf See, 5.990 sm
Auf dem Breitengrad von Mar Del Plata in Argentinien, dem Ostkap von Neuseeland, der Bass Strait zwischen Australien und Tasmanien oder Ile Amsterdam im Indischen Ozean.
Breite: 37º 28' Süd
Länge: 012º 27' West
Nightingale
Wir sind jetzt südlich des Breitengrades von Cape Agulhas, dem südlichsten Punkt Afrikas. Obwohl wir 40º Süd noch nicht ganz erreicht haben liegt dieses Gebiet bereits im 'Großen Südmeer', meinem geliebten und gefürchteten 'Southern Ocean'. Dieser turbulente und riesige Ozean erstreckt sich zwischen den Kontinenten und der Antarktis rund um die Welt, dort liegt kein Land im Weg. Vor drei Jahren verbrachte ich ein halbes Jahr nonstop in diesen stürmischen und anstrengenden aber absolut faszinierenden Gewässern. Diesmal wird es wohl nur ein Kurzbesuch sein.
Der Southern Ocean begrüßte uns heute mit unglaublichem Bilderbuchwetter. Ein glasklarer Horizont mit exzellenter Sichtweite, strahlend blauer Himmel und eine frischen Brise brachten uns zu den Inseln. Dies ist meine sechste Reise im Areal der Tristan Gruppe zu der ich eine eigenartige Anziehungskraft verspüre.
Der Landfall heute Mittag war aufregend. Das Timing war perfekt denn zwei Tage lang gab Nehaj ihr bestes um die Inseln heute noch bei Tageslicht zu runden, ich half ihr mit entsprechendem Segelwechsel. Als ich trotz klarem Wetter im zehn Meilen Abstand noch immer nichts von der hohen Insel 'Inaccessible' sehen konnte war ich verwundert. Allerdings lag voraus ein grauer Schleier am Horizont, konnte es wirklich sein dass sich die Insel an diesem herrlichen Sonnentag in Nebel versteckt? Erst eine Stunde später löste sich das Rätsel. Plötzlich lag die Insel wie ein riesiger Lego-Klotz links voraus. An beiden Seiten zeigte die Küstenlinie steile Klippen, während über dem 562 m hohen Plateau eine stationäre Wolke lag die mit dem Wind weit nach Lee getragen wurde. Um das dramatische Bild zu krönen hat die Südseite einen Zuckerhut-Piton der fast vertikal ins Meer abfällt. Kein Wunder dass dieser Inselklotz 'Inaccessible' benannt wurde, also 'Unzugänglich'.
Gleichzeitig sah ich knapp daneben die viel größere Insel Tristan Da Cunha. Auch sie hatte sich in den eigenen Wolkenmantel gehüllt, aber über der Kondens-Suppe zeichnete sich die Spitze des 2.062 m hohen Vulkans in 36 Seemeilen vom tiefblauen Himmel ab, also hatten wir eine perfekte Sicht von mindestens 70 Kilometern.
Die Show des Tages, oder besser meiner 18-jährigen Suche dieser abgelegenen Inseln wurde zwei Stunden später von 'Nightingale' noch übertroffen. Im warmen Licht glühte die Insel am Nachmittag mit ihren tief eingefurchten Erosionsrinnen, sanft abfallenden zart-grün schimmernden Plateaus und steilen Felsnadeln aus Basalt. Im Abstand von nur einer Meile düsten wir bei stetem Nordwind an der Leeseite vorbei. Immer mehr große Seevögel waren um uns, viele mit dem typischen Hakenschnabel der Albatrosse. Einmal sah ich etwas verfärbtes Wasser und wurde sehr aufmerksam, aber das Echolot zeigte nie weniger als 90 Meter Tiefe an. Schließlich lösten sich alle Wolken über den Inseln auf und ich hatte sie alle gleichzeitig in Sicht. Ich könnte schwören die Spitze von Tristan Da Cunha ist der Zwilling vom Vulkan Pico der Azoren.
Das Inselchen 'Nightingale' ist unbewohnt und hat eine Fläche von vier Quadratkilometer mit 337 Meter Höhe. Wie die anderen vulkanischen Inseln der Gruppe ist es einer der wenigen ungestörten Brutplätze für Seevögel. Hier bauen vor allem Albatrosse (Yellownosed und Sooty Albatros) am Boden zwischen den Felsen ihre Nester. Rockhopper Pinguine, Shearwater und fünf Arten von Sturmvögeln teilen sich den restlichen Platz. Es wurden über drei Millionen Paare von Seevögeln alleine auf dieser Insel gezählt. Bei 1,3 Paaren je Quadratmeter wird es wohl recht eng. Nur eine Nachtigall ist auf 'Nightingale' nicht zu finden.
Die Insel wurde 1656 von Holländern entdeckt und hundert Jahre später nach dem britischen Kapitän 'Gamaliel Nightingale' benannt. Meine Vermutung der Name sei mit der Legende einer stürmischen Nacht von Walfängern, also einer 'Night In Gale' entstanden ist falsch. Die beiden Brüder Gustav and Friedrich Stoltenhoff versuchten hier zu leben, gaben aber nach zwei harten Jahren ihren Traum auf. Später wurde die nur 500 Meter lange Stoltenhoff Island direkt im Norden nach ihnen benannt.
Nightingale ist die kleinste Insel der 'Tristangruppe', die von der Hauptinsel Tristan und dem unwirtlichen Felsbrocken 'Inaccessible Island', sowie der 250 Seemeilen südöstlich gelegenen 'Gough Island' gebildet wird. Gemeinsam mit St. Helena und Ascension Island sind sie seit 1816 als 'Overseas Territory' unter Englischer Verwaltung. Dort wo Menschen leben benutzen sie das Englische Pfund als Währung und haben die gleiche Uhrzeit wie London, das volle 89 Breitengrade im Norden liegt.
Der einziger Ankerplatz ist auf der Hauptinsel Tristan, aber mir war völlig klar dass dies wegen Corona unmöglich ist. Ich hatte gar nicht versucht anzufragen, außerdem könnte ich damit meinen noch immer geplanten Besuch in St. Helena gefährden.
Tristan da Cunha ist die weitest entfernte Inselgruppe der Welt. Das nächst gelegene Land ist St. Helena 2.000 km im Norden, bis Südafrika sind es 2.400 km und 3.400 km bis Südamerika. Es wurden bisher noch nie Temperaturen über 25º C. gemessen und das Wetter entspricht mit viel Regen und Sturm bei wenig Sonnenschein dem der Aleuten. Nur heute war alles anders.
Nirgendwo sonst auf der Welt brütet der 'Spectacled Petrel'. Schon seit Wochen zogen sie ihre Kreise um Nehaj und waren meine nächtlichen Gäste an Deck. Bei Flaute landeten sie im Wasser und warteten geduldig bis wieder Wind zum Segeln kam, genauso wie wir. An einem Tag schafften wir nur mühsame 15 Seemeilen unter Segel und drifteten bzw. torkelten bei geborgenen Segeln 18 Stunden lang im Schwell. Die Tage davor und danach waren für die Vögel und für mich kaum besser.
Egal was ich auch machte, ich kam kaum vom Fleck. Entweder es war Flaute oder leichter Wind von Vorne. Meinem Ziel St. Helena kam ich jedenfalls nicht näher. Schließlich kam wieder guter Wind, nur leider wieder von Vorne und der einzig sinnvolle Kurs zeigte nach Südosten. Als die Insel Tristan Da Cunha nur noch 480 Seemeilen voraus lag beschloss ich spontan aus dem Übel ein interessantes neues Ziel zu machen. Nehaj schien dieser Plan zu gefallen, denn plötzlich schnurrte sie und legte das beste Etmal dieser Reise von 171 sm hin. So schlimm kann der Bewuchs unter Wasser also nicht sein. Mal kurz zu schwimmen und es durch die Taucherbrille zu checken habe ich Angsthase mir selbst bei Flaute nicht getraut.
Damit schließt sich für mich nach 18 Jahren das Kapitel dieser abgelegenen Inseln. Beim ersten Mal hatte uns der Insel-Amateurfunker eingeladen und tatsächlich fiel der Anker vor dem Ort 'Edinburgh of the Seven Seas'. Wir waren jedoch völlig demoralisiert und abgekämpft mit erheblichen Schäden am Boot, denn kurz zuvor hatten wir eine schlimme Durchkenterung. Wir überlebten die beiden Tage des erst danach beginnenden Sturms nur dank des Jordan Series Drogue den wir kurz zuvor in Chile selbst angefertigt hatten. Unser Besuch in Tristan stand unter keinem guten Stern. Zuerst stellten wir fest dass sich die gesamte Ankerkette beim durchkentern zu einem Knäuel verheddert hatte. Als das klariert war schlierte der Anker am Grund und schließlich bestätigte der Wetterbericht vom Funkerfreund und unser heftig fallendes Barometer dass wir sofort weg müssen bevor der offene Ankerplatz zur Todesfalle wird. Gerade hier leben die Inselmenschen immer mit den Launen des schnell wechselnden Wetter, aber Frau Funker weinte denn sie hatte sich so sehr auf uns gefreut und besonders lecker gekocht.
Beim zweiten Mal kam ich aus Brasilien. Es war schon spät im Jahr und ich durfte keine Zeit verschenken. Es folgte eine dramatisch Ankunft bei Sturm in Hout Bay/Südafrika am ersten April 2007.
Das dritten Mal war die erste große Reise von Nehaj. Trotz gespenstisch dichtem Nebel wagte ich mich in die Nähe von 'Nightingale Island' in der Hoffnung einen kurzen Blick zu erspähen. Die Seekarten variieren bei der Vermessung der Inseln bis zu fünf Seemeilen, also war ich absolut erleichtert als die Insel endlich sicher achteraus in der grauen Suppe lag, gesehen habe ich sie natürlich nicht.
Zwei weitere Male verlief mein Kurs knapp an den Inseln vorbei. An einen Stopp dachte ich gar nicht, denn ich war mit der 'La Longue Route' in eigener Nonstop-Mission unterwegs. Zudem jagten wir einem Hoch hinterher und Nehaj bretterte bei konstant starkem Nordwind an Tristan vorbei. Bei dieser Windrichtung ist das Ankern an der Nordküste und jeder Besuch undenkbar.
Unweit hinter Nehaj segelte damals die Deutsche Alu-Jacht FanFan ebenfalls solo und nonstop um die Welt. Es war eine erfolgreiche Reise aber bald darauf wurde sie verkauft. Viele von Euch kennen Uwe. Ich rechne es ihm hoch an dass er den kompletten Verkaufspreis für die Hilfe der Insel Gough spendete, denn dort gibt es eine schlimme Mäuseplage. Die Nager wurden vom Menschen eingeschleppt und weil es keine natürlichen Feinde gibt vermehrten sie sich katastrophal. Bald plünderten die Mäuse alle Nester der Albatrosse und fraßen die Küken bei lebendigem Leib! Bald würde es keine Albatrosse mehr geben.
Kürzlich traf ich in Horta den Captain und die Crew einer polnischen Expeditionsjacht. Das übliche Gespräch vom Woher-Wohin kam auf Südafrika und dessen Einreisebeschränkungen in Zeiten von Corona. Einer der Segler versicherte mir dass das Land 'offen' war, denn erst wenige Monaten zuvor beteiligte er sich auf Gough Island an der alleine von Spenden finanzierten Mäuse-Vernichtung mit Start in Cape Town. Trotz der Quarantäneauflagen verlief alles erfolgreich. So wird sich schon im jetzigen Sommer zeigen ob diese sehr ambitionierte Aktion die Albatrosse und ihre Küken retten wird.
Liebe Grüße, heute haarscharf im Limit des Southern Ocean,
Susanne
BLAUWASSERBRIEF 187
26.11.2021, 38 Tage auf See, 5.160 sm
Auf dem Breitengrad von Kapstadt oder Perth in West Australien.
Breite: 32º Süd
Länge: 025º West
Mein Meridian
In der vergangenen Woche war das Wetter so wechselhaft wie meine Stimmung.
Wir sind nun in den Breitengraden der 'Variables', also erscheint mir beides
recht passend.
Das Atlantik-Hoch liegt ungewöhnlich weit im Westen und brachte uns deshalb
erst Gegenwind und dann Flauten, so hatte ich Zeit mein Reiseziel neu zu
erwägen. Dabei war der Kurs von Nehaj ebenso unentschlossen wie ich.
Jeden Tag zog eine Wolkenbank durch, mal blassgrau oder pechschwarz.
Manchmal gab es Regen oder eine kräftige Bö aber immer einen deutlichem
Windsprung. Das hält mich beim häufigen Reffen und Segelwechsel aktiv. So
konnte es gut sein dass wir morgens in einer Flaute dümpeln, mittags das
dritte Reff einbinden, am Abend das Vorsegel ausbaumen und nachts den ganzen
Salat zur anderen Seite wechseln. Aber wir segeln noch immer hauptsächlich
mit dichten Schoten, trotzdem waren es in dieser Woche 29% mehr Meilen als
in direkter Linie. Dann gibt es wieder die hellen Tage der pelagischen
Symphonie in Blau, wenn die Sterne in kristallklaren Nächten zum Greifen
nahe erscheinen.
Die Wassertemperatur ist gestern unter 20 Grad gesunken, damit ist die
brütende Hitze endlich vorbei. Drinnen trage ich T-Shirt, Leggings und
Clogs, draußen auch mal Ölzeug. Socken und Gummistiefel sind noch nicht
nötig. Das Bordleben und die 24-Stunden-Wache ist mein Alltag der von vielen
Naturerlebnissen gespickt ist. Ab und zu begleiten uns noch immer Delphine
und in windigen Nächten versuchen Seevögel oft an Deck zu landen. Die
Landeanflüge sind halsbrecherisch und verlangen häufiges Durchstarten, aber
wenn sie erst mal einen Platz finden verteidigen sie ihn und haben sie vor
mir keine Angst. Als ich einmal versehentlich die Füße einer Seeschwalbe
berührte die auf einem Handgriff ruhte erschrak ich wohl mehr als der
ärgerlich krächzende Vogel. Gestern Nacht hörte ich einen Knall im Rigg und
befürchtete Schlimmes. Selbst nach genauere Inspektion konnte ich keinen
Schaden finden, es war wohl ein leider unglücklicher Anflug.
Würde man mit einem Scharnier am Äquator den Nordatlantik nach unten
klappen, dann wäre ich jetzt im Seegebiet der Azoren. Ich bin wieder auf dem
dreiundzwanzigstem Längengrad der Insel Santa Maria, wo ich diese Reise
startete.
Kleine Erdkunde:
Das Rasternetz unserer Erde besteht aus Breiten- und Längengraden.
Die Breitengrade verlaufen parallel zum Äquator der die Null-Linie ist. Bis
zum Süd- und Nordpol gibt es jeweils Neunzig Breitengrade. Jeder davon liegt
im Abstand von sechzig Bogenminuten, die exakt einer Nautischen Seemeile
entsprechen. Auf jeder Hemisphäre zwei mal Neunzig, ergibt 360 Grad.
Multipliziert mit den Bogenminuten sind das 21.600 Seemeilen, also der
Erdumfang von 40.000 Kilometer wie wir es gelernt haben.
Ein Längengrad wird auch Meridian genannt, alle verlaufen von Pol zu Pol.
Die Nulllinie geht durch das historische Observatorium in London, dort ist
der Greenwich-Meridian. Napoléon wollte dass es Paris ist, stattdessen wurde
er nach St. Helena verbannt. Nach Osten und nach Westen gibt es jeweils 180
davon, am Antipoden-Meridian beginnt in Tonga jeder neue Tag.
Weil unsere Erde (fast) eine Kugel und kein Würfel ist laufen die Meridien
nicht parallel zueinander, sondern liegen in Polrichtung immer enger
beisammen. Sie sind also geformt wie die Segmente einer Orange. Nur am
Äquator ist ihr Abstand 60 Seemeilen, je weiter man nach nach Norden oder
Süden kommt um so dramatischer reduziert sich diese Distanz. Das auf Papier
zu bringen hat den Kartographen Kopfzerbrechen gemacht, alles war viel
einfacher als die Erde noch eine Scheibe war. Es konnte nur mit einer
starken Verzerrung der hohen Breiten gelöst werden, deshalb sind Grönland
und Australien auf der Weltkarte viel größer dargestellt als sie eigentlich
sind. OK Ihr Klugen, es gibt auch 'Großkreiskarten' die zur täglichen
Navigation aber untauglich sind weil eine gerade gezeichnete Linie
tatsächlich im Bogen verläuft. Nur unser kluges GPS zeigt immer
Großkreisdistanzen.
Stünde man auf einer Eisscholle am Nordpol oder in der Antarktis am Südpol
könnte die Welt in nur vier Schritten umwandert werden: Der erste Schritt
von Greenwich bis Chicago, der nächste zur Beringsee und mit einem weiteren
Schritt via Sibirien wäre man schon wieder in London. Ich gebe zu dies ist
eine lustige Vorstellung, aber die Realität ist davon gar nicht so weit
entfernt. So segelte ich in der NW-Passage auf 70° N an nur einem Tag über
acht Längengrade, das ist am Äquator die unmögliche Distanz von 480
Seemeilen.
Im Jahr darauf bretterte Nehaj in nur vier Monaten (121 Tage) auf weit über
40° Süd um die Welt. Es war aufregend und einmalig. Dabei schmolzen die
schmalen Längengrade schnell weg und alle fünf Tage korrigierte ich die
Bordzeit um eine Stunde. Deshalb gab es auch diesen 'geschenkten Tag im
Leben'..
Dagegen haben Reisen in Nord-Süd-Richtung eine ganz andere Faszination, egal
auf welchem Ozean. Irgendwie empfinde ich sie als 'echte Seemeilen' bei
denen kartographisch nicht geschummelt wird. Bei nun 38 Tagen in den Süden
sind es erst 70 Breitengrade. Das sind 4.200 sm in Nord-Süd-Richtung, wegen
windbedingter Kurven wurden es im Kielwasser Tausend Seemeilen mehr.
Das Beste daran: Die Uhrzeit an Bord bleibt immer gleich!
Dabei steht die Zeit keineswegs still sondern rast mit enormen
Naturveränderungen, es ist wirklich bizarr. Seit unserem Start zogen bereits
vier Klimazonen im Eilschritt vorbei, am Äquator sind wir vom Herbst ins
Frühjahr gepurzelt und danach sogar unter der Sonne durchgesegelt. Irgendwie
erscheint es surreal und unmöglich denn wir segeln nur mit einer
Fahrradgeschwindigkeit von etwa 250 km je Tag, ganz ohne Jet-Lag. Das ist
die 'Faszination Meridian'.
Offensichtlich empfinde nur ich Meridian-Reisen so aufregend, denn seit
meinem Start bin ich alleine hier draußen. Es gab um uns nur drei Schiffe,
andere Jachten schon gar nicht. Ich weiß nicht wie Segler im MiniTransAt
oder im Vandee Globe den Pulk ertragen können. Wenn der Planet Venus in der
ersten Nachthälfte so strahlend hoch im Westen steht habe ich immer den
ersten Schock zu denken es sei doch das Toplicht eines Segelboots in nur 50
Meter Abstand.
Zwei echte Schiffe sah ich hier aber wirklich, vorgestern auf der Route
Rio-Kapstadt. Ein Tanker mit Ziel Singapore und ein Schüttgutfrachter nach
China, beide waren auf Kollisionskurs. Ich rief sie am UKW und bekam
tatsächlich eine Antwort. Beide änderten den Kurs und passierten in je unter
einer Meile Abstand. Nur gut dass mein AIS auch bei mieser Sicht rund um die
Uhr Ausguck hält und mich selbst nach wochenlanger Ruhe laut warnt.
Ich wollte die Distanz von den Azoren in den Süden auf 90º bringen, also auf
ein Viertel des Erdumfangs. Von hier ist das Meereis 'nur' noch 22
Breitengrade weit weg. Ihr denkt vielleicht meine Reiseziele sind konfus und
unsinnig. Das mag sein, aber für mich ist die Seestrecke wichtiger als der
eigentliche Landfall. Dabei habe ich ein festes Prinzip: Ich will keine
Länder besuchen in denen ich nicht willkommen bin.
Das macht die Auswahl der Ziele deutlich leichter. So ist das Rote Meer
total out, denn dort habe ich die falsche Hautfarbe und keine entsprechende
Religion. Große Teile des Mittleren und Fernen Osten fallen weg. In Panama
sind meine Kreditkarte und ich willkommen, aber nach dem Kanal in beiden
Richtungen habe ich die Korruption satt. Zusätzlich gibt es viele chaotische
und politisch instabile Länder in denen man nicht sicher ist.
Ich hatte damit gerechnet auf der legendären Insel South Georgia nicht an
Land zu dürfen, aber es war mir nicht klar dass mein Besuch schlichtweg
unmöglich ist. Zwei Monate alleine auf See wird als Quarantäne nicht
anerkannt. So musste ich mich ernsthaft an mein eigenes Prinzip erinnern
nicht dorthin zu segeln wo ich nicht willkommen bin und sogar
Feindseligkeiten erwarten muss. Es ist sehr schade, denn Nehaj ist in
Superzustand. Wasser, Proviant und Diesel sind voll und mir geht es sehr
gut. Ich hatte auch keine Hilfe oder Reparaturen erwartet.
Heute liegt die Insel St. Helena noch immer im gleichen Abstand wie vor
zwanzig Tagen am Äquator. Damals lag sie im Südosten, also genau in der
Gegenrichtung zum Passatwind. Wir sind seitdem keineswegs auf der gleichen
Stelle geblieben, sondern Nehaj hat seitdem tausende tapfere Seemeilen
geschafft, nun liegt St. Helena im Nordosten. Wir segeln also eine Route
zwischen Azoren und Südatlantik die wie ein riesiger Fischhaken aussehen
wird. Selbst jetzt können wir die Insel noch nicht direkt ansteuern sondern
müssen weiter nach Osten bevor wir links abbiegen dürfen.
In der Gegenrichtung ist es total easy. War es wirklich erst letztes Jahr
als ich an St. Helena auf Vorwindkurs vorbei segelte und nur elf Tage später
den Äquator erreichte? Mit den ersten Corona-Restriktionen in Martinique,
der verbeulten Nehaj im Nordatlantik, der Reparatur in den Niederlanden und
dem Winter in Bremerhaven ist so viel mehr passiert als in diese Zeitspanne
zu passen scheint.
Und es ist gut wieder hier draußen im Großen Blau zu sein.
Nun drehen wir also den Bogen nach St. Helena und wollen auch stoppen, denn
dort sind Jachten willkommen. Bis Neujahr sollten wir locker ankommen.
Liebe Grüße aus dem Südatlantik,
Susanne
PS:
Ich bin fasziniert noch immer täglichen Paktor-Kontakt mit VE1YZ in der Nähe
von Halifax in Nova Scotia halten zu können! Neil hat mir nautisch und
funktechnisch viel Hilfe und sehr gute Tipps gegeben. Nur für mich hat er
die 18 Megs Radio Frequenz eingerichtet und sendet nun mit doppelter
Leistung. Ohne seine tolle Radiostation wäre meine Bordkommunikation schon
seit vielen Wochen unmöglich.
Herzlichen Dank, Neil.
BLAUWASSERBRIEF 179
21.10.2021, Zwei Tage auf See, 179 sm
Auf dem Breitengrad von Gibraltar, Japan oder Cape Fear und Santa
Barbara/USA
Breite: 35º 15' Nord
Länge: 024º 55' West
A Memorable Meeting
Weit draußen im Nordatlantik erstreckt sich das Archipel der Azoren auf über 600 km, etwa auf dem Breitengrad der Straße von Gibraltar. Im Südosten liegt die kleine Insel Santa Maria. Ich hatte geplant meine Reise in Horta zu starten, aber spontan entschied ich mich dazu dort noch einen Stopp zu machen.
Grund dafür war die Verabredung mit dem Schwedischen Segler Anders und mit seiner 12 m Stahlketch 'Malala'. Seit 3 ½ Jahren bin ich in Email Kontakt mit Anders. Er ist der einzige Teilnehmer der 'La Longue Route' mit dem ich während dieser Nonstop-Reise um die Welt und auch danach in Verbindung bin. Natürlich wollten wir uns irgendwann und irgendwo auf der Welt einmal kennenlernen, jetzt war es soweit!
Der Neuseeländische Segler Peter mit seinem massiven 17 m Alukutter 'KiwiRoa' schloss sich uns an und mir war bald klar dass sich hier drei Extremsegler mit ziemlich ähnlichen Ansichten und Anforderungen an sich selbst trafen. Dazu sind die beiden sehr charmant und rücksichtsvoll, von ruhigem Charakter aber dennoch selbstsicher in ihren Meinungen. Solch eine Dreirunde von Einhandseglern die sich ihre Boote selbst bauten ergibt sich nur sehr selten. Nein, das passiert eigentlich nie, und schon gar nicht per Zufall wie gerade eben.
Gemeinsam haben wir Drei mindestens ein Dutzend Weltumsegelungen auf dem Buckel und furchten über eine Million Seemeilen durch alle Ozeane der Welt. Jeder von uns hat mindestens eine Strecke in der Nordwestpassage oder in der Nordostpassage hinter sich. Mit den extremen Breiten von Spitzbergen bis zur Antarktis sind diese beiden enorm kompetenten Segler bestens vertraut. Entsprechend sind ihre Boote aus Metall gebaut und ausgerüstet. In der Gesellschaft von 26 Tonnen Alu und 21 t Stahl fühlte sich 'Nehaj' mit ihren 'nur' 16 t fast wie ein Zwerg, aber sie kann gut mithalten.
Der Schwede Anders ist Kapitän auf großer oder auch auf 'kleiner Fahrt', denn kein Job ist ihm zu extrem oder zu simpel. Dazwischen schaffte er sich lange Auszeiten auf seiner 'Malala'. Um seine nautischen Erfahrungen kennenzulernen muss man ihn direkt fragen, denn er schweigt gerne bescheiden. Schon in den frühen 1980er Jahren segelte er solo um die Welt. Später fuhr er in Expeditionsschiffen zur Antarktis, oder die Verantwortung von Megaschiffen an allen Ecken der Welt lag in seiner Hand. Mit riesigen Tugs schleppte er Eisberge vor Grönland, er fuhr als Lotse oder tuckert mit einer kleinen Fähre vor Ort, daheim in Schweden. 'Malala' ist ein 'Joshua'-Nachbau. Wie bei Bernard Moitessier ist sie eine Stahlketch mit knallrotem Rumpf, Doppelender und gewaltigem Bugspriet. Nur etwas breiter, etwas schwerer und etwas höher.
Peter hat seine 'KiwiRoa' komplett selbst geschweißt und gebaut, als vor 30 Jahren Aluminium für Jachten noch fast unbekannt war. Als Susan und Eric Hiscock in den 1960er in Neuseeland waren hat er sich mit diesen legendären Englischen Seglern angefreundet, die noch heute Ikonen der frühen Fahrtensegler sind. Peter ist pfiffiger Erfinder und Techniker und mir scheint es gibt kein Problem das er nicht lösen oder sich selbst zusammenbauen könnte. Mit der Entwicklung des 'Rocna-Ankers' hat er sich wohl selbst übertroffen und weltweite Anerkennung gefunden.
Ich kann mich nicht erinnern wann ich zuletzt Gäste zum Dinner an Bord einlud, es muss wohl 15 Jahre her sein. Die rauschende 'Mastparty' im eisigen November 2014 fällt in eine andere Kategorie, als sich etwa 25 Freunde und das 'Who's Who' der Bootsbauszene von Sneek auf Nehaj quetschten um mit mir das neue Rigg zu feiern, während die Gulaschsuppe auf dem Dieselofen köchelte. Das kleine Abschiedsfest in Sneek im Juni 2015 zählt irgendwie auch nicht, denn wir feierten auf der Wiese beim Liegeplatz von Nehaj und weil eine Regenbö zuerst meine festlichen Flaggen im Mast weg wehte und bald darauf auch die Gäste.
Schon nach dem ersten herzlichen Treffen mit Anders und Peter war klar, dass wie drei gleichgesinnte Einhandsegler sind, die nicht gerne für Gäste kochen oder sich an kulinarischem Können messen lassen wollen. Solosegler werde generell gerne auf andere Boote eingeladen und mit einer Flasche Wein und dem rhetorischem Angebot den Abwasch zu übernehmen ist das Dinner immer abgegolten, eine Revanche-Einladung wird nicht erwartet. Dennoch wollte ich eine gemütliche Runde mit diesen beiden besonderen Seglern verbringen. Im kleinen Hafen von Santa Maria gibt es jedoch kein Restaurant und selbst der Jachtklub war geschlossen. Also sprang ich über meinen eigenen Schatten und wir trafen uns auf Nehaj! Eigentlich war ich in meiner Rolle als Gastgeberin völlig entspannt, denn ich brauchte keine kritischen Blicke segelnder Superhausfrauen zu befürchten, außerdem wusste ich dass sich diese beiden galanten Naturburschen nicht beschweren würden. Erst gab es Käse/Schinken-Häppchen im unbequemen Cockpit, dann teilten wir uns drinnen den 'Tisch für Zwei' zu dritt ohne fragende Blicke, während die Konversation so richtig in Fahrt kam. Mit etlichen Nachschlägen putzten wir fast alles aus den drei vollen Töpfen weg. Es gab würziges Gulasch, frisches Gemüse und Reis. Als Nachtisch Joghurt mit Roter Grütze von Aldi. Dann fingen wir wieder beim Käse an...
An Gesprächsstoff mangelte es uns keineswegs. Gut vier Jahrzehnte der Weltenbummler-Szene war der Leitfaden, mit Fragen der beiden wie:
- Weißt Du noch als es nur Astronavigation gab?
- Die besonderen Orte unserer Welt zwischen St. Kilda, Svalbart, Greatvicken oder der NWP.
- Darf man noch nach Kerguelen?
- Und immer wieder fielen Namen großer Fahrtensegler unserer Generation: Was macht eigentlich dieser alte Haudegen, wann hast Du so-uns-so zuletzt getroffen?
Das Vandee Globe und Mini-Transat wurden nur beiläufig erwähnt, denn zu verschieden ist dieses 'Formel-Eins-Rennen' in großem Kommerz zu den Extremreisen auf unseren Booten. 'Corona' schlug eine Schneise in die Flotte der Weltumsegler und betrifft natürlich auch uns. Dazu sprachen wir über viele technische Themen von Bootsbau und Ausrüstung die mich ohnehin interessieren und natürlich die Gewissensfrage welcher Anker am besten sei, hi. Drei Segler, drei Meinungen.... Ich blieb nur vier Tage in Santa Maria, aber wir Drei hätten einen gesamten Winter lang weiter plaudern können.
Mich hat diese kleine Insel mit ihren besonderen Seglern und ihren besonderen Jachten fasziniert. Da waren die beiden 55' Klassiker mit Leuten aus Chicago, England und Südafrika. Neben mir lagen Spanier, daneben Franzosen. Die stäbige Koopmans 'Atlas' aus Stahl, fast baugleich zu 'Nehaj', kam gerade zurück aus Grönland wo sie mit Wissenschaftlern an Bord Wale zählten. Ich traf holländische Freunde mit ihrer edlen 'Bestaever' wieder, die 2015 vor dem allerersten Segelschlag von Nehaj im Ijsselmeer an der gleichen Pier in Stavoren lagen, nun brauchte deren Lift-Ruder dringend Schweißarbeiten. Ein Einhandsegler kam kürzlich via Panama aus Patagonien zurück und weitere Boote mit Rümpfen aus Metall schliefen an Land, träumten von großen Reisen und warteten auf ihre Eigner. Statt Horta wäre der 70-t-Travellift von Sta. Maria auch für mich die deutlich bessere Wahl gewesen. Ach ja, da gab es auch noch ein GFK Boot mit mit dem Namen 'Joshua', das sich aber mit einem Spruch auf dem Rumpf zur Bibel und nicht zu Moitessier bekannte.
Solch eine Blauwasserszene ist eigentlich typisch für Horta, aber weil dort Hafenarbeiten geplant sind werden schon seit Monaten alle Jachten weg geschickt, Dauerplätze für Besucher sind nicht zu haben. Trotzdem traf ich während meiner Zeit dort ganz besondere Menschen. Die polnische Expeditionsjacht 'Selma' bestätigte mir, dass fast alle Länder im Südatlantik noch immer jede Einreise verbieten, genauso wie Kanada und noch immer die USA.
Natürlich war es ein Höhepunkt für mich in Horta endlich unseren Trans-Ocean-Stützpunkt im 'Casa Pico Belo' wieder zu sehen. Lothar schlägt sich trotz Handikap sehr tapfer und werkelt noch immer unermüdlich in seinem riesigen Garten, mit dessen Obst und Gemüse er Segler seit vier Jahrzehnten glücklich machte. Gemeinsam zupften wir einen Eimer voll frischer Kräuter, aus denen er eine leckere 'Frankfurter Soße' zauberte. Als ich im April 2020 nicht an Land durfte, schickte mir Lothar Köstlichkeiten aus dem Garten zum Ankerplatz, denn die flotten Jungs vom 'Cafe Peter Sport' hatten mit dem RIB-Boot die Versorgung der Segler in Corona-Quarantäne übernommen.
Die Azoren sind der weitest entfernte westliche Fleck von Europa, aber dennoch Teil davon. Mit ihrer Lage im weiten Nordatlantik sind diese Inseln wohl besonders für seefeste Segler interessant die 'landfest' werden wollen. Hier kann man noch immer mit eigenen Händen sein kleines Paradies erschaffen und nach den eigenen Vorstellungen sesshaft werden.
Mein Amateurfunkfreund Stefan berichtet dass sich auf der Insel Santa Maria die ATC (Air Traffic Control) Station für den gesamten Atlantik befindet. Grund genug mich mit dem Klapprad auf die Suche nach den entsprechenden Antennen zu machen. Ich weiß nicht recht was ich gefunden habe, aber den Berg hoch musste ich das Radl schieben. Droben gab es eine tolle Aussicht und ein paar Oleanderzweige werden in der kardanischen Blumenvase mit mir segeln.
Lutz und Brigitte zeigten mir diesmal ihr tolles Haus im Westen von Faial mit freiem Blick zur Karibik, bzw. auf die Jachten die von dort ankommen. Derweil ist ihre 'Forty-8' gut gepflegt und bereit für jedes Abenteuer. Ähnlich ergeht es der robusten Jacht 'Christa', deren Eigner hier wohl die perfekte Kombination von Hochseesegeln und dem eigenen großen Fleck Land gefunden haben. Auf diesen grünen Inseln mit dem hellen Licht und dem etwas rauen aber frostfreien Winter könnte man seine Memoiren schreiben und reflektieren. Man kann zeichnen und in Wasser oder Öl malen wie meine italienischen Freunde auf 'Stranizza', oder wie es die erfolgreiche Künstlerin Lucia mit ihrer Leidenschaft für blaue Farbe und 'freediving' im tiefen, glasklares Wasser tut. Ihr abstraktes Bild von Nehaj hängt in der Kajüte, schön dass wir uns nach sechs Jahren wieder getroffen haben.
Last not least traf ich in Horta den waschechten Friesen Jochen. Bauprojekte in allen Kontinenten formten ihn zum kernigen Weltenbürger. Sein Herz ist in Ostfriesland, aber seine Abenteuer und jahrzehntelange Lebenserfahrungen in der Ferne könnten Bücher füllen. Er lebt nun auf 'Tara', die er mit viel Liebe und Fachwissen wieder zum Schmuckstück machte. Im seinem 'Klassiker-Benz' fuhr er mich für meine letzten Einkäufe stilvoll zum Supermarkt. Shopping-Stress gab es bei uns beiden, ruhigen Einhandseglern nicht. Ich wünsche Dir alles Gute, Jochen.
Damit wurde eine Einhandseglerin-Superlative übertroffen. Statt mich wie üblich aus dem Hafen und in den Nächsten zu schleichen wurde ich von den charmantesten Solo-Seglern verabschiedet und willkommen geheißen. Warum will ich jetzt eigentlich schon wieder los segeln?
Dies ist ein hand/landfester 'Hafenwasserbrief' geworden, aber heute sind wir seit zwei Tagen auf See. Nehaj ist wieder stark, sie ist voll mit Proviant, Ausrüstung und Ersatzteilen und mit allem was ich zum Leben brauche. Wieder einmal zieht es mich hinaus, diesmal in die Ungewissheit einer 'Corona-Welt'. Nach diesem Feuerwerk der Herzlichkeit auf den Azoren mit alten und mit neuen Freunden freue ich mich auf das einmalige 'Weite Blau', in dieser letzten wirklichen Freiheit der Ozeane.
Mit lieben Grüßen bei satt-blauer See und mittlerweile guter Brise.
Kurs Süd liegt an.
Susanne und Nehaj