Unseren 1. Vorsitzenden von INTERMAR, Hans-Uwe Reckefuß (DD1HUR) erreichte vor ein paar Tagen eine Nachricht von Susanne Huber-Curphey (N1QFE). Susanne ist in der Blauwasser Szene "mehr als bekannt",sie hat mit ihrer Yacht „Nehaj“ die Welt mehrfach „einhand“ umsegelt. Susanne ist auch INTERMAR verbunden, ich persönlich habe schon ein paar QSO's mit ihr führen dürfen und ihre nette und freundliche Art kennen gelernt. So ist es uns eine Ehre, dass sie uns die Genehmigung zur Veröffentlichung des folgenden Textes erteilt hat, den ich als Webadmin mit einem Copyright von Susanne versehen habe. Wir danken Susanne ausdrücklich für diese Genehmigung und sind uns sicher, es wird nicht der letzte Artikel sein, den wir veröffentlichen dürfen. Nun aber viel Spass beim Lesen!
Vy 73 de Uwe (DF5AM)
Terceira Island/Azoren, 05.09.2021
Seit dem Start in Bremerhaven war das Wetter unverschämt gut. Von der Weser bis weit hinaus in die Biskaya segelten wir mit ausgebaumter Fock, also mit Wind von achtern, perfekt.
Am zehnten Tag auf See schrieb ich diese Zeilen:
„Schiffe habe ich schon seit vier Tagen nicht mehr gesehen, auch nicht im Radius von 24 Seemeilen auf dem AIS Bildschirm. Beim Blick nach achtern sehe ich Schwell von gut zwei Metern Höhe heran laufen, der sich in der Biskaya in dieser 'völlig falschen' Windrichtung aufgebaut hat. Jeder Wellenhügel hebt das Boot an bis ich den weiten, klaren und wunderbar leeren Horizont sehe. Dann rollt das flache Tal unter uns durch und mein Blickfeld reicht nur noch bis zum nächsten Wellenkamm. Man möchte meinen wir sind im Passatwind, aber dafür sind wir lockere zwanzig Breitengrade zu weit im Norden! Derweil segelt Nehaj ihre Bahn in Richtung Südwesten noch immer fast auf Vorwindkurs. Mit jedem Tag wird es etwas wärmer. Wir sind jetzt etwa auf der Breite von Cap Finisterre in Nordspanien und selbst im Nordatlantik ist das Wasser nun 21.6º C warm.“
„Bordalltag stellt sich ein, ich koche wieder Mahlzeiten und finde meinen See-Rhythmus. Nach tagelang grau-bedecktem Himmel und Regen werden an diesem klaren Tag nicht nur die Batterien voll geladen, sondern um mich ist wieder das vertraute Blau des offenen Ozeans. Diese Weite und seine pelagische Freiheit erscheint schier endlos, es ist Blauwasser vom Feinsten. Ich schwöre, heute habe ich seit sehr langer Zeit wieder den 'happy hum' von Nehaj gehört. Das ist ihr eigenartiges glückliches Summen. Dabei kann ich nicht sagen ob es aus dem Rigg, vom Kiel oder Ruder kommt. Manchmal ist einfach da und das ist gut so.“
Das Azorenhoch verbringt seinen Sommerurlaub in Schottland, was der Grund für diese ungewöhnliche Wetterlage ist. Dort hockt es mit seinen 1.040 Hektopascal auf der Stelle und faulenzt. Derweil bildeten sich kleine Tiefs südlich von uns und brachten lokalen Turbo. Das erste Tief bei meiner Abfahrt gab Deutschland und der Nordsee graues Regenwetter in, aber diesen Preis zahlte ich für günstigen Wind sehr gerne.
Natürlich war die Strecke bis zum Englischen Kanal trotzdem anstrengend. Alleine an Bord gibt es im steten Strom der vielen Schiffe, der Küstennähe und den vielen Fahrwassertonnen keine Ruhe. Unweit daneben sind die Offshore-Felder riesiger Windturbinen und Ölplattformen. Am Ende blieb ich nicht im Abseits wie geplant sondern reihte mich in die Autobahn der Dickschiffe ein, schön am rechten Rand. Das neue AIS-Gerät warnte mich verlässlich wenn es beim Überholen eng wurde und in den Pausen dazwischen ratterte die neue Eieruhr im Viertelstunden-Rhythmus. Das gute an solch belebten Schifffahrtslinien ist dass jeder sehr aufmerksam ist, auch ich.
Das zweite Tief lag nur etwa eine Tagesstrecke voraus. Es zog entlang des 40sten Breitengrades langsam nach Osten und brachte uns auf seiner Nordseite genau den richtigen Wind. Bald darauf warnte mich Uwe von 'Intermar', DD1HUR, via Amateurfunk vor mehreren tropischen Stürmen. Uwe und ich kennen uns recht gut und auch diesmal schrieb er mir alle Details in umfassenden, persönlichen Emails. September ist der aktivste Monat der Wirbelstürme im Nordatlantik und es brodelte rundum und nicht allzu weit entfernt. Reste vom tropischen Sturm 'Julian' hatten es sich über den Azoren gemütlich gemacht und der neu benannte Hurrikan 'Larry' könnte von den Kapverden durchaus in meine Richtung ziehen. Keine Ahnung was aus 'TS Kate' wurde. Selbst im Osten des Nordatlantik bringt das Segeln um diese Jahreszeit also einige Adrenalin-Attacken.
Beide verschonten mich. 'Larry' blieb auf seiner ordentlichen Route nach Westen und macht momentan als 'Major Hurricane' mit über 100 Knoten Windgeschwindigkeit die Bahamas und Bermuda nervös. 'Mein Julian' löste sich langsam auf und saugte mir dabei den günstigen Wind weg. Ich lachte mich selbst aus, denn meine Berechnung der Ankunft auf den Azoren wurden völlig unsinnig. So torkelten wir bei geborgenen Segeln herum und warteten auf Wind, während sich Uwe um mich sorgte. Eines der wenigen Schiffe in der Nähe fragte sogar an ob hier all klar sei, wie nett. Diese verbleibenden 200 Seemeilen hätte ich beim vorhandenen Diesel an Bord locker motoren können, aber irgendwie wäre dadurch meine neu gewonnene Freiheit auf dem Ozean verdorben worden. Außerdem wollte ich nicht Hundert Liter Diesel in dieses wunderbare, weite Blau blasen.
Fast war ich erleichtert nach all dem 'unverschämt guten Ostwind' auf den Gribfiles endlich wieder ein 'normales Tiefdruckgebiet' auf seiner üblichen Route zu sehen. Es würde knapp nördlich vorbei marschieren. Mir brachte es zuerst ordentlichen Gegenwind, dann nachts um Zwei eine sehr aktive Kaltfront und schließlich die erwartete Winddrehung auf NW. Nach dem Windsprung konnten wir bei tief gerefften Segeln gerade so den Kurs wieder anliegen, während Nehaj in den Seegang der alten Windrichtung polterte. Ab und zu tauchte sie die Nase tief ein und das Wasser schoss übers gesamte Deck nach achtern. In so einer Situation ist es sehr beruhigend ein solides Rigg zu haben. Erst vor einem Jahr hatte ich jeden einzelnen 'Sta-Lock' Terminal vom komplett erneuerten Draht selbst angefertigt und ich habe großes Vertrauen in den Rigger in Sneek.
Ich blieb auch völlig ruhig als ich eigenartiges Plätschern hörte, weiß ich doch dass Nehaj wirklich wasserdicht ist. Beim zweiten Mal sah ich aber nach und war sofort stinksauer auf mich selbst. Da habe ich diese wunderbaren und ultimativ wasserdichten Decksluken, hatte aber vergessen die M12 Gewindeschrauben ordentlich fest zu drehen. So plätscherten einige Tassen Seewasser auf die vordere Koje und über den Tisch im Salon. So sehr ich das Salzwasser auch liebe, in meiner Kajüte und in der Bilge hat es nichts zu suchen! Dann barg ich das Stagsegel um etwas langsamer zu werden, man will das Schicksal ja nicht unnötig herausfordern.
Am Samstag Mittag, exakt zwei Wochen nach Verlassen der Schleuse in Bremerhaven, sah ich die Insel Terceira im Abstand von dreißig Seemeilen am Horizont voraus. Die Rückseite des Tiefs brachte eine tolle Sichtweite und spritzige, flotte Seemeilen auf Halbwindkurs. Das dritte Reff blieb im Groß, aber das Stagsegeln schob auf den letzten Meilen bis zum Hafen Praia da Vittoria wieder kräftig mit.
Alle Systeme auf Nehaj sind ohne Mängel und es gibt keine neue Arbeitsliste. Den eigenartig aggressiven Orcas vor der Spanisch-Portugisischen Küste haben wir mit diesem Umweg in den Westen ein Schnippchen geschlagen, aber bei den Dellen im Rumpf und dem Waschbett zwischen den Spanten unter der Wasserlinie an Steuerbord hätten sich die Orcas vielleicht verschüchtert verdrückt, wer weiß. Nehaj kann die 'battle scars' ihrer Strandung mit Stolz zeigen. Statisch ist sie stärker als zuvor und hat bei diesem Hüpfer in den Süden ihre neue Seefestigkeit bewiesen. Gut gemacht Nehaj und Miss Aries!
Mit lieben Grüßen von den schönen grünen Atlantikinseln, Susanne
© Susanne Huber-Curphey